Die Galerie im Oktober zeigt Bilder von René Müller aus Erkrath

Er schreibt:

Einmal musst du da hin, dachte ich mir, ist dieses Jahr schließlich gleich „um die Ecke“. Also schnappte ich mir meine sieben Sachen und fuhr zusammen mit einem Freund nach Eindhoven - zur Kuriereuropameisterschaft 2008! Was bei vielen Leuten für fragende Blicke sorgt, ist in der Szene jedem ein Begriff: Es handelt sich um ein mehrtägiges Event, bei dem Fahrradkuriere aus aller Herren Länder in verschiedenen Disziplinen gegeneinander antreten.

Nun darf man sich das Ganze nicht als einen knallharten Wettkampf vorstellen. Es geht vor allen Dingen um Spaß, Gemeinschaft, Erfahrungsaustausch. Gedopt wird in erster Linie mit Alkohol, weshalb die Siegchancen in ungedoptem Zustand spürbar ansteigen.

Dem Radkurier geht natürlich nichts über sein Heiligtum: das geliebte, oft geschundene, unkaputtbare Fahrrad. Selbst aufgebaut ist es Ausdruck seines individuellen Geschmacks. Zwischen die Speichen sind sogennante Spoke Cards geklemmt, welche von den vielen Kuriermeisterschaften künden, auf denen der Velophile bereits gewesen ist. Es ist wie mit einem alten Wohnwagen, den sein reiselustiger Besitzer mit Aufklebern zugekleistert hat, um später in sentimentalen Erinnerungen zu schwelgen. Rahmen, Lenkerband und Sattel sind gezeichnet von den Stürzen, die das Rad schon hinnehmen musste. Und wenn eine Reparatur dann doch mal länger dauert, kann man immer noch auf das Sonntags-, Privat-, Dritt- oder Viertrad zurückgreifen; Hauptsache es rollt … Hab ich eigentlich erwähnt, dass es sich um Fahrradverrückte handelt?

An welchen Disziplinen man teilnehmen kann, hängt auch vom bevorzugten Fahrradtyp ab. So sind neben Rennrädern vor allem jede Menge „Fixies“ (abgeleitet von „fixed gear“ = starrer Gang) anzutreffen, also Räder ohne Gangschaltung und Freilauf. Man muss ständig mittreten, und um abzubremsen, kontert man mit seinen Beinen dagegen. Vorbild sind klassische Bahnräder, welche zwar keine Bremsen, dafür aber eine äußerst wendige Geometrie aufweisen, um auch bei hoher Geschwindigkeit schnell ausweichen zu können. Beim Kurier-Fixie wird meist noch eine – selten verwendete – Vorderradbremse befestigt. Ansonsten beugt man sich im Notfall vor und drückt die Beine durch, so dass das Hinterrad blockiert. Dieser Notfall wird beim  Skid Contest zelebriert: wie Superman nach vorn gebeugt gewinnt derjenige, der am weitesten mit blockiertem Hinterrad über den Asphalt schleift. Aber womöglich liegt einem ja eher das Rückwärtsfahren, oder minutenlanges auf der Stelle stehen, am besten noch freihändig und mit nur einem Fuß auf dem Pedal? Dem Talentierten kann geholfen werden, denn auch dafür gibt es Wettbewerbe;-)

Die Qualifikations- und Hauptrennen haben den beruflichen Kurieralltag zum Vorbild. Es müssen verschiedene Kontrollpunkte angefahren werden, wo einem die Kunden ihre Sendungen zur Auslieferung überreichen. Als Nachweis erhält der Rennteilnehmer jeweils einen Stempel auf sein Manifest, also den Aufgabenzettel, der zur Überraschung immer erst nach dem Startschuss gelesen werden kann. Neben Ausdauer sind daher auch organisatorisches Geschick und gute Orientierung gefragt. Sieger ist derjenige, der entweder in der kürzesten Zeit oder innerhalb des Zeitlimits die meisten… Ach was, dabei sein ist alles! Wer nur noch an Platzierungen denkt und von Gegnern umringt ist, sollte mal zur Kuriermeisterschaft kommen. Da wird er weder reich noch berühmt, aber selbst als Letzter mit strahlendem Lächeln abrücken.

Tja, so bin ich im Juli dieses Jahres zu meiner ersten Spoke Card gekommen. Nach drei bierseligen, sonnigen Tagen auf dem Eindhovener TU-Gelände bleiben schöne Erinnerungen und die Vorfreude auf kommende Meisterschaften zurück. Bis dahin werden aber noch einige tausend Kilometer vergehen, denn wie Sie vielleicht schon ahnen, gehöre auch ich zu jenen, die täglich im Großstadtdschungel für die pünktliche Anlieferung von Zahnersatz, Steuerordnern, Blumensträußen, Blutproben – kurz gesagt, allem, was nicht lebt und in meinen Kuriersack passt – sorgen.

Wer noch mehr sehen und lesen will, schaue sich den offiziellen Link der Veranstalter an: http://www.ecmc2008.com/page/26/pictures.html

Alle Bilder dieser Reportage finden Sie auf Flickr

 


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