Darf ich mich vorstellen?
Als mich Herr Löffler
fragte, ob ich Lust hätte, hier eine Kolumne beizusteuern, war ich zunächst
überrascht, und ich fühlte mich natürlich auch geschmeichelt.
Eine Menge brillanter Ideen gingen mir durch den Kopf, mit denen ich mich Ihnen,
liebe Leser, vorstellen könnte. Aber letztendlich liegt mir Selbstdarstellung
in dieser Form nicht, also belasse ich es bei einer "neutralen" Vorstellung:
Ich heiße Thomas Wollstein, bin Physiker und fotografiere, entwickle und
vergrößere seit ungefähr 25 Jahren, wobei ich eine ausgesprochene
Vorliebe für Schwarzweiß-Fotografie und nicht ganz so gängige
Verfahren (z. B. Infrarot, Stereo, alte Verfahren) habe, die mir Raum für
Experimente lassen.
Ich habe mir vorgenommen, in meinen Beiträgen bevorzugt solche Themen aufzugreifen, bei denen ich im Rahmen meiner Recherchen im Internet schon oft bemerkt habe, dass es Wissensdefizite oder Missverständnisse bei vielen Fotografen gibt. Als Physiker habe ich einen gewissen theoretischen Hintergrund, den ich nicht vergessen kann. Ich werde mir Mühe geben, Sachverhalte hier so zu erklären, dass auch weniger naturwissenschaftlich-technisch geprägte Leser etwas davon haben, ohne dabei physikalischen Blödsinn zu erzählen.
Vorsicht Wissenschaft! Für die Leser, die aufgrund des in unserem Schulsystem oft nicht optimalen naturwissenschaftlichen Unterrichtes eine Abneigung entwickelt haben, kennzeichne ich solche Passagen, in denen ich zu Nutz und Frommen der interessierten Leser Fachausdrücke benutzen oder Erläuterungen einfügen möchte. |
Schlussfolgerungen, die mir besonders wichtig erscheinen, werde ich hervorheben. |
Doch
nun zum ersten Mal zur Sache:
Stolperstein Kornscharfsteller
Zusammenfassung:
Kornscharfsteller können bei Schwarzweißvergrößerungen zu zwei verschiedenen Scharfstellfehlern führen. Den einen können Sie vermeiden, indem Sie mit weißem Licht oder auf eine Mattscheibe fokussieren. Den anderen - der nur bei kontrastvariablem Papier auftritt - können Sie nur anhand der Ergebnisse aufwendiger Tests korrigieren. |
Immer wieder werden Kornscharfsteller
als das Nonplusultra bei der Scharfstellung gepriesen, und in manchen Internet-Foren
werden die Verdienste des einen und Macken des anderen Gerätes heiß
diskutiert. Aber alle Kornscharfsteller, gleich ob billig oder teuer, können
beim Schwarzweißvergrößern zu Einstellfehlern führen,
die ich nachfolgend beschreiben möchte. Ich werde Ihnen auch sagen, wie
Sie prüfen können, ob Sie von dem Problem betroffen sind oder nicht
und Ihnen zuletzt schonend beibringen, dass das Problem teilweise unlösbar
ist. Sollten Sie in Farbe vergrößern, brauchen Sie hier nicht weiterzulesen.
Vergrößern Sie aber in Schwarzweiß und haben sich gewundert,
warum Ihre Fotos ein gewisse Unschärfe aufweisen, obwohl Sie doch sorgfältigst
mit Ihrem Kornscharfsteller fokussiert haben, finden Sie in diesem Artikel vielleicht
eine Erklärung.
Es gibt zwei Probleme, ein einfaches und ein schwierigeres. Zunächst
das einfache:
Haben Sie einmal versucht, einen Gegenstand durch ein tiefblaues Filter anzuschauen,
oder ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie schwierig es ist, eine blaue Leuchtreklame
scharf zu sehen? Es wird zumindest einige Anstrengung kosten, Ihre Augen richtig
scharf zu stellen, manchmal gelingt es Ihnen auch gar nicht. Das liegt daran,
dass beim menschlichen Auge (und übrigens bei praktisch allen anderen Linsensystemen
auch) blaues Licht in einer anderen Entfernung hinter der Linse fokussiert wird
als rotes. Wenn Sie also in rotem Licht etwas scharf sehen und jemand nun die
rote Lampe aus- und eine blaue einschaltet, müssen Sie neu scharf stellen,
auch wenn die Entfernung zum betrachteten Gegenstand gleich bleibt.
Vorsicht Fachsprache! |
Bei Kornscharfstellern, bei denen auf ein "Luftbild" scharfgestellt wird (im Gegensatz zu solchen, bei denen auf ein auf eine Fläche projiziertes Bild scharfgestellt wird) kann dieser Effekt dazu führen, dass man um bis zu einem Zentimeter daneben liegt, weil an der scharfen Abbildung des Korns im Scharfsteller das menschliche Auge mit seinem Farbfehler beteiligt ist, an der Abbildung auf das Papier aber nicht. Haben Sie mit einem Mattscheiben-Scharfsteller scharf gestellt, tritt der Effekt nicht auf, denn das Korn wird in der Mattscheibenebene und damit auf dem Papier scharf abgebildet. Es ist halt nur das Auge, das Probleme hat, die Mattscheibe in blauem Licht scharf zu sehen.
Lösen Sie dieses Problem, indem Sie das Blaufilter, das bei manchen Kornscharfstellern beigefügt ist (angeblich weil Fotopapier bevorzugt auf blaues Licht reagiert) nicht benutzen. Bei den heutigen Papieren verursacht dieses Filter möglicherweise mehr Ärger als es Nutzen bringt. |
Der o. g. Fehler tritt
bei festgraduiertem Papier genauso auf wie bei kontrastvariablem. Der zweite
- wesentlich unangenehmere - Fehler tritt ausschließlich bei kontrastvariablem
Papier auf:
Auf den Punkt gebracht läuft er darauf hinaus, dass die Fokusebene, die
wir mit unseren Augen sehen, eine ganz andere sein kann als die, die das Papier
sieht, weil wir das Licht, das das Papier am stärksten schwärzt,
gar nicht sehen. Abweichungen von bis zu 15 mm werden berichtet [1]. Auch
dies liegt an der erwähnten longitudinalen chromatischen Aberration, aber
an der des Vergrößerungsobjektivs, nicht an der unseres Auges: Während
die meisten guten Vergrößerungsobjektive für den Bereich des
roten, grünen und blauen Lichtes hinreichend gut korrigiert sind und dort
nur ein geringer Farbfehler auftritt, sieht es mit der Korrektur im Ultravioletten
(UV) oft nicht so gut aus. Andererseits reagieren moderne kontrastvariable Papiere
zum Teil auch auf (für das Auge nicht mehr sichtbares) ultraviolettes Licht,
und manche Lichtquellen strahlen nennenswerte Mengen davon ab.
Wie merken Sie, ob Sie dieses Problem betrifft? Suchen Sie sich ein körniges
Negativ, stellen Sie es (ohne Blaufilter!) mit Ihrem Kornscharfsteller sorgfältig
scharf, und vergrößern Sie es bei der optimalen Öffnung Ihres
Vergrößerungsobjektives (vermutlich zwischen 4 und 5,6 bei Kleinbild,
bei Mittel- und Großformat vermutlich 5,6 bis 8 bzw. 8 bis 11) mit den
Filtern für die Gradationen 0 (oder 00) und 4 (oder 5) so stark, dass Sie
das Korn gut sehen können. Mit einiger Sicherheit wird die Vergrößerung
bei der weichen Gradation scharf sein, denn dort wird UV weitestgehend ausgefiltert,
weil der weiche Anteil der kontrastvariablen Emulsion durch Licht längerer
Wellenlängen belichtet wird. Bei der harten Vergrößerung jedoch
kommt viel blaues und möglicherweise ultraviolettes Licht auf das Papier,
und dann kann es passieren, dass bei unveränderter Fokussierung das Bild
unscharf wird. Ähnlich unscharf wird das Bild sein, wenn sie eine Vergrößerung
ganz ohne Filter anfertigen (meist entspricht die Gradation dann ungefähr
2), denn auch dort wird ja UV nicht ausgefiltert. Zu den Einflussfaktoren, die
das Ausmaß des Problems beeinflussen, gehören:
die Lichtquelle (dadurch, dass sie mehr
oder weniger ultraviolettes Licht abstrahlt),
das Objektiv (durch seine Korrektion und Durchlässigkeit
für ultraviolettes Licht),
das verwendete Papier (durch die Lage seiner größten
Empfindlichkeit innerhalb des Spektrums).
In Konsequenz heißt das, dass Sie für alle möglichen Konfigurationen
testen müssen, wenn Sie ein Problem feststellen. In [1] wird berichtet
dass z. B. mit Kodak Polymax und Ilford Multigrade IV die größten
Verschiebungen mit einem bestimmt nicht schlechten Schneider Computar und vergleichbare
mit einem El-Nikkor und einem Rodenstock Rodagon entstanden. Praktisch keine
Verschiebung war bei allen Objektiven bei Agfa Multicontrast Premium zu finden,
vermutlich weil dieses Papier sein Empfindlichkeitsmaximum dort hat, wo auch
das Auge noch gut sieht.
Wie können Sie sich helfen? Eine schnelle und schmutzige - aber
leider auch nur halb wirksame Lösung - besteht in einem Kodak Filter 2B.
Dieses Filter reduziert das Problem auf die Hälfte, indem es den größten
Teil der ultravioletten Strahlung ausfiltert, es verlängert allerdings
die Belichtungszeiten um 50 %. Eine aufwendigere und saubere Lösung wäre
es, die Verschiebung zu messen und zu korrigieren. Sie brauchen dazu einen Stapel
Pappe und viel Geduld. Verfahren sie wie folgt:
Nutzen Sie ein möglichst körniges Negativ.
1) Legen Sie Ihren Vergrößerungsrahmen auf einen 5 mm hohen Stapel
Pappe, fokussieren Sie ganz genau.
2) Fertigen Sie eine Vergrößerung bei der optimalen Öffnung
Ihres Vergrößerungsobjektives (s. o.) an.
3) Fertigen Sie eine weitere Vergrößerung an, bei der Sie die Pappe
weglassen, aber die Fokussierung nicht ändern.
4) Fertigen Sie eine weitere Vergrößerung an, aber mit 10 mm Pappe
drunter. Auch hier wird die Fokussierung nicht geändert.
5) Fertigen Sie noch eine Vergrößerung mit dem ursprünglichen
5-mm-Stapel an.
Beurteilen Sie die Vergrößerungen möglichst unter einer guten
Lupe. Die Vergrößerungen nach 2 und 5 müssen gleich scharf sein.
(Sonst haben Sie einen Fehler gemacht, oder Ihr System hat sich selbsttätig
verstellt.) Wenn sie gleichzeitig die schärfsten sind (d. h. 3 und 4 also
weniger scharf sind als 2 und 5), haben Sie das große Los gezogen. Sie
haben das Problem nicht, oder es ist nicht nennenswert. Ist entweder 3 oder
4 schärfer als 2 und 5, haben Sie das Problem und der Spaß fängt
erst richtig an, denn Sie müssen praktisch für jedes Papier und jeden
Vergrößerungsmaßstab mit jedem Objektiv die nötige Korrektur
finden. Sie finden diese nur durch Versuch und Irrtum, indem Sie nach dem gerade
beschriebenen Verfahren verschiedene Pappstapelhöhen testen und die als
Korrektur verwenden, bei der Ihnen die Fotos am schärfsten erscheinen.
Gegen unscharfe Vergrößerungen ohne Filter gibt es kein echtes Heilmittel.
Eine einfache und dennoch vollständige Lösung des Problems gibt es nicht. |
Übrigens
hat Rodenstock das Problem durch eigene Messungen bestätigt und festgestellt,
dass es nicht möglich sei, die Objektive bis in den UV-Bereich hinein hinreichend
zu korrigieren, ohne die Abbildungsqualität im sichtbaren Bereich zu verschlechtern.
Die Lösung kann also höchstens von den Papierherstellern kommen, indem
diese die Empfindlichkeit der kontrastvariablen Papiere nicht zu weit in das
nicht sichtbare Spektrum ausdehnen.
Literaturhinweis:
[1] Ctein: Post Exposure, Advanced Techniques for the Photographic Printer,
Focal Press 1997, ISBN 0-240-80229-3