Erfolg auf Instagram: Fotograf Jörg Nicht im Interview

28. April 2017
von Steffen Körber
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Erfolg auf Instagram: Fotograf Jörg Nicht im Interview

fotoespresso: Herr Nicht, Sie gehören mit mehr als einer halben Million Followern zu den bekanntesten deutschen Fotografen auf Instagram. Peilen Sie nun schon die Million an?

Jörg Nicht: Sicher sieht es sehr gut aus, eine Million ­Follower auf Instagram zu haben. Allerdings liegt das nicht in meiner Hand. Die Algorithmen von Instagram sind dafür verantwortlich, wie sichtbar ein Account ist. So werden einzelne Accounts anderen Nutzern vorgeschlagen und manche Fotos werden häufiger angezeigt als andere. Viele Follower zu haben bedeutet also nicht, dass sich auch alle die Bilder anschauen. Derzeit wächst mein Account nicht mehr.

fotoespresso: Wie verlief Ihre ›Erfolgsgeschichte‹ auf der Plattform? Und ist Ihnen dieser Erfolg wichtig?

Jörg Nicht: Ich eröffnete meinen Instagram-Account in der ersten Woche nachdem die App erschienen war. Ich hatte damals ein iPhone 4 und war fasziniert von den technischen Möglichkeiten, die es bot. Da war jede Menge Potenzial, wie ich fand. Um die Fotos mit Freunden auszutauschen, eignete sich Instagram ideal. Erst ein paar Monate später erkannte ich, wie gut man sich mit anderen Nutzern vernetzen konnte. Ich war dann recht aktiv und postete regelmäßig. Meine Fotos erschienen auf der Seite mit den populären Fotos, wodurch mich andere Nutzer entdeckten und meinen ­Account abonnierten. Über diesen Mechanismus bekam ich viele neue Nutzer und mein Account wuchs über die Jahre, auch nachdem Instagram die Algorithmen derart veränderte, dass es keine solche Seite mehr gab, sondern eine Entdecken-Seite. Inzwischen wächst die Anzahl der Follower meines ­Accounts aber, wie gesagt, kaum noch. Der Erfolg auf Instagram ist insofern wichtig für mich, als meine Arbeit dadurch erst eine Öffentlichkeit ­gefunden hat. Davor hatte ich meine privaten Fotoprojekte, von denen nur meine Freunde Notiz nahmen.

fotoespresso: Sehen Sie sich primär als Fotograf oder als Instagram-Nutzer?

Jörg Nicht: Ich sehe mich als einen Fotografen, der sehr gerne Instagram nutzt.

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fotoespresso: Im Netz gibt es unzählige Artikel, die sich damit beschäftigen, wie man mehr Follower und Likes bekommt. Lässt sich ›Erfolg‹ auf Instagram wirklich beeinflussen und planen?

Jörg Nicht: Mit den richtigen Tools kann man planen, sehr viel Erfolg im Sinne von sehr vielen Followern und Likes zu haben. Meine Freunde von Mobilephotography.de haben diese Entwicklung vor kurzem in einem Beitrag skizziert und kritisch betrachtet (www.mobilephotography.de/schummelgram-der-hintergrund-uber-schummler-auf-instagram/). Instagram ist aus meiner Sicht eine hervorragende Plattform, um sich zu präsentieren. Wer dieses Format (Bilder und Stories) ernst nimmt, der kann auch Erfolg haben, vielleicht nicht immer die meisten Likes erzielen, aber zumindest andere Fotobegeisterte für sich interessieren. Als Strategie empfehle ich, regelmäßig zu posten und dabei für sich bestimmte Themen zu definieren. Allerdings eignet sich das kleine Displayformat, auf dem Instagram-Fotos meist angeschaut werden, nicht für alle Inhalte: Hochzeitsaufnahmen sind dann beispielsweise schon special interests – zu nah, zu groß.

fotoespresso: Wie wichtig sind dabei Disziplin und ein langer Atem?

Jörg Nicht: Disziplin und Durchhaltevermögen sind sehr ­wichtig. Man muss sich Folgendes vergegenwärtigen: Als Instagram­-Nutzer bekommt man täglich hunderte Fotos ­angezeigt. Unter diesen sollen meine Bilder auffallen und im Gedächtnis bleiben. Bestenfalls vermissen es Ihre Follower, wenn Sie kein Foto posten (oder es aus welchen Gründen auch immer nicht angezeigt wird). Das erreichen Sie nur, wenn Sie regelmäßig posten. An normalen Tagen versuche ich zum Beispiel, eines meiner Bilder gegen 22.30 Uhr zu posten. Und am Sonntagvormittag kommt mein Sonntagsauto (#ASundayCarPic). Oft schreiben mir meine Follower: »Du hast ein Auto gepostet, jetzt weiß ich, dass wieder Sonntag ist.« Oder, wenn ich spät mit meinem Foto dran bin: »Ich habe dein Sonntagsauto vermisst, nun ist es für mich ein richtiger Sonntag.«

encounter. #Berlin

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fotoespresso: Es soll Tools geben, mit denen man Likes und Follower generieren kann. Wie funktionieren diese und wie stehen Sie dazu?

Jörg Nicht: Diese Tools und Möglichkeiten gibt es. Und sie werden auch von Instagrammern genutzt, die sehr viele Follower haben. Es gibt eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten, die im Prinzip immer nach dem Schema funktionieren, dass Likes generiert werden, um wiederum dem Algorithmus von Instagram vorzugaukeln, ein Foto sei beliebt (d. h. es bekommt viele Likes), wodurch es auf der Explore-Page gezeigt wird. Manch einer hat es schon übertrieben damit und bekommt dann auf ein Bild das Dreifache an Likes im Vergleich zu seinen anderen Bildern. Außerdem gibt es jede Menge Anbieter, die Follower verkaufen. Ich habe von Agenturen gehört, die Instagrammern empfohlen haben, Likes zu kaufen, damit sie höhere Preise bei der Produktplatzierung erzielen können. Ein namhafter deutscher Fotograf erzählte auf einer Podiumsdiskussion, dass er Likes kaufe, um neue Aufträge zu bekommen. Schließlich müsse er Frau und Kinder ›durchbringen‹. Was ich sagen will: Solche Praktiken sind weit verbreitet. Aber ich halte davon nichts, sondern möchte mit der Qualität meiner Fotos überzeugen.

fotoespresso: Das Ziel vieler Nutzer bei Instagram ist es, irgendwann einmal finanziell davon zu profitieren. Wie genau funktioniert das?

Jörg Nicht: Geld verdient man bei Instagram über Content-Marketing: Man macht im Auftrag von Marken Fotos, die das gewünschte Produkt zeigen, und postet diese auf Instagram. Das wird gern auch als Influencer-Marketing bezeichnet. Daneben werden bekannte Instagram-Fotografen für Fotoaufträge angefragt. Das nimmt bei mir immer mehr zu, so dass ich mir eine Existenz als Fotograf aufbauen kann. Dabei hilft mir sicher auch, dass ich für LUMIX als Ambassador tätig bin.

where is the tv tower? #Berlin

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fotoespresso: Wie kommen Sie zu Ihren Bildern? Ergeben sich die Momente spontan oder suchen Sie gezielt spezielle Motive?

Jörg Nicht: Um meinen Account mit Fotos zu bestücken, folge ich oft einem groben Ziel: Eine Straßenflucht sieht bei bestimmtem Licht gut aus, und wenn das Wetter entsprechend gut ist, möchte ich davon ein Foto. Wichtig ist, dass ich mich dann gern ablenken lasse und dies und jenes finde, was ich fotografiere und was ich nicht unbedingt auf Instagram poste. In diesen Momenten spielt mehr die genaue Beobachtung der Szenerie eine Rolle: Was passiert an einer Kreuzung? Was ist das Typische? Im richtigen Moment drücke ich den Auslöser.

fotoespresso: Gib es Motive, von denen Sie glauben, dass diese auf Instagram besser ankommen als andere?

Jörg Nicht: In den letzten Jahren hat sich ein klarer Trend zu Berglandschaften, idealerweise mit See davor, herausgebildet. Auf dem See sollte ein Boot zu sehen sein. Ich führe das an, nicht um es zu bewerten, sondern weil man sehr gut die Mechanismen aufzeigen kann, die das kleine Format des Smartphones provoziert. Die Leute widmen einem Foto zwei, drei Sekunden – in der kurzen Zeit muss es erfassbar sein. Die immer wiederkehrende Landschaft kann ich als Landschaft identifizieren. Bei einem Porträt habe ich Mühe, muss länger hinschauen. Darüber hinaus ist die Zentralperspektive gut, weil die Bilder meist im Hochformat oder im Quadrat gezeigt werden und die Zentralperspektive mit gestaffelten Raumelementen (See, Boot, Abfolge von Bergen) Tiefe erzeugt. Zum Problem wird das Hochformat, weil Berge zwar hoch sind, aber dann doch ganz schön weit weg, wenn man vom Ufer eines Sees fotografiert. Deshalb werden für Landschaftsfotos gern Telebrennweiten eingesetzt. Ein Trend, den ich auch bei Straßenaufnahmen beobachte. Wer sich meine Aufnahmen anschaut, der erkennt schnell, dass die in Zentralperspektive aufgenommene Straße oft vorkommt.

fotoespresso: Es ist auffällig, dass viele in Deutschland bekannte Instagram-Fotografen aus Berlin kommen. Gibt es hier eine Verbindung?

Jörg Nicht: Berlin ist sicher die unter Jugendlichen bekannteste deutsche Stadt, die auch eine gewisse Sehnsucht weckt, weshalb man sich Berlin-Bilder gern anschaut. Das ist zumindest eine Rückmeldung, die ich auch öfter bekomme. Zudem gab es schon früh viele Instagrammer in Berlin, die sich getroffen und vernetzt haben. Und schließlich haben wir in Berlin 2014 ein großes europäisches Treffen von Instagrammern organisiert, was wiederum dazu führte, dass viele Berliner Instagrammer aktiver wurden.

frozen river. hidden treasures series. Berlin; January 2016

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fotoespresso: Es gibt in Berlin auch häufig sogenannte Instawalks. Was ist das Besondere daran?

Jörg Nicht: Entgegen der Meinung, dass Soziale Netzwerke zur Isolierung der Menschen beitragen, kennzeichnet Instagram von Anfang an, dass sich die Nutzer sehr schnell treffen wollen. Die ersten Instagrammer hatten auch den Anspruch, mit einem Smartphone ihren Alltag zu fotografieren. Und das kann man gut gemeinsam tun. Wenn ich mit Instagrammern unterwegs bin, zeigt man sich nicht nur gegenseitig den besten Spot, sondern auch verschiedene Bearbeitungsmöglichkeiten (als ich neulich mit einem Fotografen beruflich unterwegs war, war er nicht einmal bereit, mir das JPG eines Fotos auf seinem Kameradisplay zu zeigen). Auf den Walks wird dann ­natürlich viel über Instagram selbst gesprochen, da sich die Macher über ihre App stets verschlossen geben und das breiten Raum lässt für Interpretationen und Spekulationen.

fotoespresso: Ist ein gutes Instagram-Foto auch immer ein gutes Foto (und umgekehrt)?

Jörg Nicht: Ein gutes Instagram-Foto kann, muss aber nicht ein gutes Foto sein. So habe ich viele Landschaftsfotos von Instagrammern gesehen, die gefällige Bildaufteilungen wie den Goldenen Schnitt offensichtlich ignorieren. Ein ›gutes‹ Instagram-Foto ist zunächst einmal ähnlich wie ein Stockfoto offen für die Interpretation des Betrachters – es enthält tendenziell wenig Wertungen. Ausnahmen bestätigen sicher die Regel. Im Unterschied zum Stockfoto ist es stärker bearbeitet: knackigere Schärfe, stärkere Farben und Kontraste.

fotoespresso: Wie verändert Instagram Ihrer Meinung nach die Fotografie?

Jörg Nicht: Instagram hat zunächst die Fotografie mit dem Smartphone massiv popularisiert. Zudem schaut man sich heute Fotos auf dem Smartphone an – vor allem auch auf Instagram. Das kleinere Format, auf dem man Fotos betrachtet, fördert andere Bildkompositionen. Wichtig ist aber auch, dass eine ganze Reihe von Nutzern über Instagram ihre Liebe zur Fotografie entdeckt hat. Viele heute erfolgreiche Instagrammer haben erst mit einem Smartphone und Instagram begonnen zu fotografieren. Diese Nutzer halten sich dann nicht immer an Konventionen von Bildaufbau und Farbenlehre, wodurch ganz eigene Werke entstehen. Das kann man gut oder schlecht finden.

fotoespresso: Ursprünglich war es angedacht, nur mit dem Smartphone zu fotografieren und die Bilder unbearbeitet (wenngleich mit App-eigenen Filtern versehen) zu posten. Mittlerweile sind viele professionelle Fotografen auf der Plattform unterwegs und übermitteln ihre Bilder über Umwege mit dem PC auf Instagram. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Jörg Nicht: Ich sehe das als Ausdruck der Professionalisierung des Netzwerkes. Aber machen wir uns nichts vor: Fotografen sind auf dem Bildernetzwerk Instagram nur von geringer Bedeutung. Man muss sich nur die Instagrammer mit den meisten Followern anschauen. Das sind überwiegend Celebrities, Fußballstars und andere bekannte Persönlichkeiten.

fotoespresso: Fotografieren Sie aussschließlich mit dem Smartphone?

Jörg Nicht: Bis 2014 habe ich für Instagram nur mit Smartphones fotografiert. Heute nutze ich die Geräte abhängig vom Sujet. Eine Spiegelung kann ich beispielsweise am besten mit einem Smartphone fotografieren. Und gerade wenn ich Reiseaufträge habe, bewährt sich das Smartphone, weil ich mit ihm vergleichsweise unauffällig bin.

time for puddles. #Berlin

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fotoespresso: Und wann verwenden Sie eine Kamera?

Jörg Nicht: Generell verwende ich andere Kameras, wenn ich andere Brennweiten einsetzen möchte (z. B. für Porträts) oder ich eine bessere Qualität der Bilder benötige.

fotoespresso: Wie sehen Sie die Zukunft von Instagram?

Jörg Nicht: Wenn ich die Entwicklung der letzten Monate richtig deute, positioniert sich Instagram als Medium, auf dem oder mit dem Geschichten erzählt werden. Aus meiner Sicht lässt sich ein Trend zu massenkompatiblen Sujets ablesen (Landschaften). Zudem sind immer mehr Stars und Marken auf Instagram aktiv und nutzen die Plattform zur Selbst- bzw. Produktvermarktung. Und schließlich versucht Instagram selbst Bewegtbilder zu fördern. Vielleicht erleben wir gerade auf Instagram die engere Verschmelzung von Foto und Video.

fotoespresso: Herzlichen Dank für das Interview.

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