Fotografie – Motivation und Inspiration

26. September 2024
von fotoespresso
0 Kommentare


Andreas Jorns

Eine der häufigsten Fragen, die mir bei meinen Coachings und Workshops gestellt werden, lautet: »Wie finde ich meinen Bildstil, Andreas?« Und ich antworte dann meist, indem ich meinem Gegenüber ein paar Fragen stelle:

»Was findest Du gut?«

»Wofür brennst Du?«

»Wofür möchtest Du stehen?«

»Was treibt Dich an?«

Die Antwort auf diese Fragen fällt vielen schwer und das ist tatsächlich schon Teil des Problems. »Warum fotografiere ich eigentlich?« und »Warum fotografiere ich ausgerechnet das, was ich fotografiere?« sind Fragen, die sich zumindest jeder stellen sollte, der in irgendeiner Form unzufrieden ist. Und davon scheint es dieser Tage viele zu geben. Denn regelmäßig höre ich davon, dass Menschen das Hobby Fotografie aufgeben oder zumindest die Lust daran verlieren. Ein berühmter Kollege sagte kürzlich in kleiner Runde sogar: »Fotografie ist tot!«. Und in weiten Teilen stimmt das sogar, wenn wir nur auf die vielen Felder der Berufsfotografie schauen, denen KI über kurz oder lang den Garaus machen wird.

Aber natürlich muss das nicht für die künstlerische Fotografie gelten, schon gar nicht für das große Feld der Amateurfotografie. Nur Fakt ist: Der ganz große Hype ist vorbei, was vor allem daran liegt, dass die technologische Entwicklung weitgehend ausgereizt ist. Vorbei sind die Zeiten, in denen man sich die nächste Sensor-Generation mit noch mehr Auflösung und noch weniger Rauschen wünschte. In denen man hoffte, der Autofokus würde noch schneller und zuverlässiger. Heute haben wir Kameras, die mehr können als wir brauchen und nicht selten mehr als wir wollen (auf Letzteres komme ich in diesem Artikel noch zu sprechen).

Die technische Faszination als Trigger, die Kamera in die Hand zu nehmen und zu fotografieren, ist somit obsolet geworden. Weshalb wir uns eigentlich endlich (!) den Inhalten widmen könnten. Und da kommen wir schon zum nächsten Dilemma und das hat sehr viel (wenn nicht alles) mit den sozialen Medien zu tun. Machen wir uns nichts vor: Fotografie hat schon längst die Aura des Besonderen verloren. Zum Teil ist das der normale Lauf der Dinge – genauso wie wir heute nicht mehr erstaunt ein Kraftfahrzeug betrachten, das die Straße entlangfährt. Zu einem großen Teil geht es aber auf die Kappe eines jeden Einzelnen.

Wenn der größte Teil der Bilder mit einem Smartphone gemacht, innerhalb von Sekunden in den sozialen Medien gepostet, aber niemals gedruckt wird, ist klar, dass die Magie verloren geht, die eine Fotografie haben KÖNNTE. 

95 Millionen (!) Bilder und Videos werden jeden Tag auf Instagram veröffentlicht. Wer soll sich das alles anschauen? Wer WILL sich das alles anschauen? Die Fotografie wird banal. Beliebig. Da verwundert es nicht, dass den Menschen langweilig wird. Dass sie die Faszination für die Fotografie verlieren.

Sämtliche Bilder in diesem Beitrag würden in den sozialen Medien nicht »funktionieren«. Sie sind nicht plakativ genug. Nicht zugänglich genug. Haben möglicherweise das »falsche« Format. Müssten gegebenenfalls zensiert werden. Ihnen allen gemein ist, dass man sie sich länger als 0,4 Sekunden anschauen muss – genau DAS ist aber mittlerweile die durchschnittliche Betrachtungsdauer eines Bildes auf Instagram.

Ist Social Media
der Totengräber der Fotografie?

Warum ist das überhaupt so? Warum posten die Menschen so viel in den sozialen Medien? Die Antwort liegt auf der Hand: Sie streben nach Anerkennung, nach Bestätigung, nach Ruhm. Schon 1968 sagte Andy Warhol den berühmten Satz: »In the future, everyone will be world-famous for 15 minutes.« Und er hat Recht behalten. 

All das ist menschlich. Wir sind so gestrickt. Wir wollen gemocht werden. Es ist gut für unser Seelenheil. Daran ist per se nichts verkehrt. Doch jetzt kommt das große ABER:

Die sozialen Medien haben ihre Spielregeln – mehr oder weniger dokumentiert. Dazu gehört auch, dass man schnell herausfindet, was »funktioniert« und was nicht. Welche Bilder mehr Zustimmung erhalten (Herzchen = Likes) als andere. Und das führt dazu, dass die große Mehrheit eben solche Bilder produziert und veröffentlicht. Das Problem: Die goldenen Zeiten von Instagram und Co. sind vorbei! Um angemessen Reichweite (und damit Likes) zu generieren, braucht es viel mehr als ab und zu ein schönes Bild. Das merken alle, und es gibt viele Menschen, die deswegen die Lust verlieren. Fatalerweise nicht die Lust an den sozialen Medien, sondern die Lust an der Fotografie. »Wenn keiner mehr meine Bilder sieht, warum soll ich dann noch fotografieren?« ist ein Satz, den ich in der jüngeren Vergangenheit sehr häufig gehört habe, und er bestürzt mich jedes Mal. Ist DAS wirklich die alleinige Motivation der Menschen, zu fotografieren? Zustimmung und Anerkennung in den sozialen Medien bekommen?

Es gibt einen Satz aus der Psychoanalyse, der lautet: »Live your life to express the true you and not to impress others.« Und diesen Satz hat der geschätzte Kollege Vincent Peters im letzten Jahr auf der Photopia-Bühne aufgegriffen und auf die Fotografie übertragen, in dem er sich an die anwesenden Fotografen richtete:

»Ihr habt die Wahl: wollt Ihr mit Euren
Bildern  beeindrucken oder wollt Ihr
Euch mit Euren Bildern ausdrücken?«

EXPRESS > IMPRESS

Spätestens jetzt, wo alle merken, dass die Reichweite in den sozialen Medien zusammenbricht und die Likes rückläufig sind, wird klar, dass wir längst wieder zurück müssen zum intrinsischen Ansatz der Fotografie. 

Wer nur noch fotografiert, was aus einem selbst herauskommt – völlig unabhängig, was andere sagen, darüber denken und urteilen –, bekommt eine fotografische Integrität (und damit Authentizität). Und entwickelt ganz beiläufig auch noch einen Bildstil! Denn genau DAS sagt der Bildstil aus: Es ist die Beantwortung der oben gestellten Fragen, die anschließend in die eigene Fotografie einfließen. Erst mit einem eigenen Bildstil kann man in den Bildern auch etwas von dem Fotografen bzw. der Fotografin sehen! Das wiederum macht es so viel interessanter, denn es gibt den Bildern eine zusätzliche Ebene.

»Audience comes last«, hat Rick Rubin, ein bekannter amerikanischer Musikproduzent mal zu jungen Musikern gesagt. »Macht das, was aus Euch herauskommt! Denkt beim Schreiben der Musik auf keinen Fall an das Publikum!«. Das klingt erst mal verrückt, denn eigentlich strebt auch ein jeder Musiker nach Erfolg, aber genau das ist die weitergehende Aussage von Rick Rubin: dass sich nämlich der Erfolg nur dann einstellen wird, wenn man ihn NICHT kalkuliert und auf eine Zielgruppe ausrichtet! »Sei authentisch! Dann wirst Du Menschen finden, denen gefällt, was Du machst!« Es gibt andere Beispiele, die das Ganze noch drastischer formulieren, wie zum Beispiel der britische Musiker Noel Gallagher, der einst sinngemäß sagte, dass die Kunden gar nicht wissen, was sie wollen. »Sie wollten keinen Jimi Hendrix! Aber sie haben ihn bekommen! Sie wollten kein Sgt. Pepper’s Album! Aber sie haben es bekommen! Sie wollten keine Sex Pistols! Aber sie haben es bekommen! Und es hat die Musikgeschichte verändert.«

Das alles ist bewusst ins hohe Regal gegriffen, aber es lässt sich selbstverständlich 1:1 auf die Fotografie übertragen. Insbesondere auf die Amateurfotografie, die ja nun tatsächlich überhaupt keinen Druck hat, irgendetwas zu MÜSSEN!

Was aber, wenn man gar nicht so richtig weiß, was man will? Wofür man wirklich brennt? Was man tatsächlich mag? Kaum jemand kann das nämlich ganz zu Beginn beantworten. Wahrscheinlich gibt es keine allgemeingültige Antwort, aber ich kann auflisten, was MIR geholfen hat – abgesehen davon, dass ich auch erst mal ganz viel ausprobiert habe, um festzustellen, wofür ich wirklich brenne.

Inspirieren lassen!

Es liegt zu Beginn nahe, sich von anderen Fotografen und Fotografinnen inspirieren zu lassen und da kann ich nur jedem empfehlen, sich nicht nur auf den Konsum von Instagram und Co. zu beschränken! Ganz im Gegenteil: Schaut Euch Bildbände an und besucht Ausstellungen! »Fotografie beginnt mit dem gedruckten Bild! Davor sind es nur Bits und Bytes«, hat Karin Rehn-Kaufmann, verantwortlich für fast 30 weltweite Leica-Galerien, einst gesagt und sie hat völlig Recht! Bilder entfalten eine völlig andere Wirkung, wenn man sie in gedruckter Form konsumiert, zumal wenn man sie in kuratierter Form wie in Bildbänden und in Ausstellungen vorfindet. Eine völlig andere Welt als Social Media – und eine so viel schönere! Ich kann wirklich nur jedem Fotografen und jeder Fotografin eindringlich ans Herz legen, regelmäßig die Lieblingsbilder zu drucken bzw. drucken zu lassen. Man gewinnt einen völlig anderen Bezug zu seinen eigenen Bildern!

Und weil ich gerade die Leica-Galerien erwähnt habe, die in der Regel vier bis fünf Ausstellungen pro Jahr zeigen, zu denen jeder Interessent freien Eintritt hat: Aus meiner Sicht ist es sehr bedauerlich (und gleichzeitig irgendwie bezeichnend für die aktuelle Situation in der Fotografie), dass Leica der einzige Kamerahersteller ist, der sich den Luxus eigener Galerien leistet (deren Betrieb das Unternehmen sehr viel Geld kosten dürfte). Und somit der einzige Player im Markt ist, der das BILD gleichgewichtig neben die Technik stellt!

Es ist aber viel zu kurz gesprungen, sich nur von Fotografie inspirieren zu lassen. Ich persönlich hole mir einen Großteil meiner Inspiration aus der Musik und aus Büchern (z. B. aus Künstlerbiografien). Oder aus Filmen (vor allem alten Filmen). Blickwinkel, Bildaufbau, Lichtsetzung – sehr viel davon kann man aus Filmen mitnehmen – oder auch aus Musikvideos.

Damit aus Routine keine Langeweile wird

Was aber, wenn man seinen Stil schon längst gefunden hat, viele Jahre Spaß daran hatte, dann aber anfängt sich zu langweilen, weil man das Gefühl hat, immer das Gleiche zu machen? Ich kenne dieses Gefühl sehr gut und weiß, wie gefährlich Routinen sein können. Wenn man an dem immer gleichen Ort die immer gleichen Dinge tut. Wenn einem diese Dinge viel zu leicht von der Hand gehen, auch weil die ausgereifte Technik fast alles von selbst macht. Ab und zu ist es einfach an der Zeit, sich selbst herauszufordern, die Technik hintenanzustellen und die Möglichkeit einräumen, sich selbst zu überraschen!

Tipp 1: Schnappt Euch eine Kamera ohne
elektronischen Sucher und vielleicht sogar ohne Autofokus! 

Tipp 2: Beschränkt Euch auf eine Brennweite!
Möglichst eine, mit der Ihr NICHT vertraut seid!

Tipp 3: Klebt Euer Display ab!

Damit zieht Ihr los. Mindestens vier Wochen lang. Mindestens zwei Mal pro Woche. Und macht Bilder! Von dem, was Ihr seht, was Ihr mögt, was Ihr skurril findet. Es darf banal sein – es muss nicht immer bedeutungsschwanger sein. Galerien und Museen sind voll mit Bildern, die per se nichts Spektakuläres zeigen, sondern das Leben! Fotografen und Fotografinnen, die ihr Leben dokumentiert haben. Was wir heute, viele Jahre später, interessant finden. Vielleicht geht’s ja den Menschen in 50 Jahren mit unseren Bildern genauso? Dafür müssen wir sie nur MACHEN! Und vor allem müssen wir sie DRUCKEN! Die Wahrheit ist: Niemand interessiert sich für die Bilder auf Eurer Festplatte!

Und das führt mich zum nächsten, vielleicht wichtigsten, Tipp: Nehmt Euch Zeit für die Bilder, die Ihr gemacht habt!

Alle vier Wochen überspielt Ihr die Bilder auf Euren Rechner und schaut sie Euch in Ruhe an! Die Zeit zwischen Bild machen und Bild erstmals ansehen, ist wichtig! Anton Corbijn hält die zeitliche Entkopplung zwischen diesen beiden Dingen für den wichtigsten Vorteil der analogen Fotografie. 

Wichtig: 

Begreift die Bildersichtung und -auswahl nicht als notwendiges Übel, sondern als genauso wichtig wie das eigentliche Fotografieren. Ja, es ist manchmal aufreibend, aber es kann auch sehr viel Spaß machen. Dabei darf man ruhig selbstkritisch sein! 

Der letzte Tipp: Zeigt diese Bilder NICHT (zumindest nicht sofort) in den sozialen Medien, sondern druckt regelmäßig Eure Favoriten aus. Und einmal im Jahr schaut Ihr Eure Favoriten an und macht daraus eine Auswahl, die Ihr in einem Buch drucken lasst! Die Möglichkeiten hierfür sind mittlerweile unerschöpflich und einen eigenen Artikel wert. 

Man kann es gar nicht oft genug betonen: Die Bilder zu drucken, wertet diese in erheblichem Maße auf! Gedruckte Bilder haben eine völlig andere Wirkung als jene auf dem Bildschirm. Nicht selten allein wegen der schieren Größe. Gedruckte Bilder werden vom Betrachter auch anders wahrgenommen. Man nimmt sich im Regelfall mehr Zeit für die Betrachtung der Bilder. Man SIEHT im wahrsten Sinne des Wortes mehr in ihnen. Die Bilder werden zur Fotografie!

Solltet Ihr den Spaß an der Fotografie verloren haben, bin ich sicher, dass Ihr ihn durch Umsetzung dieser Tipps zurückgewinnt. Mir persönlich ist es jedenfalls so gegangen …



Andreas Jorns, Jg. 1966, lebt mit seiner Frau in in Haan (Rheinland) und hat sich als Porträt- und Aktfotograf einen Namen gemacht. Er ist Autor von drei Fachbüchern (u. a. »Sensual Nude« im dpunkt.verlag) und publiziert seine eigenen Bildbände, die er selbst vertreibt. Im Februar 2024 ist mit »FINALLY« sein achter Bildband erschienen. 
2023 hat Andreas Jorns bekannt gegeben, seine Arbeiten nicht mehr in den sozialen Medien zu veröffentlichen. Stattdessen bringt er zweimal pro Jahr eine Zeitung mit dem Titel »einBlick« heraus, die er gratis an alle Interessenten versendet.
Die Arbeiten von Andreas Jorns waren bereits in einigen Ausstellungen zu sehen, u.a. im Jahr 2022 anlässlich der Retrospektive »black is the color« in der Leica Galerie in Düsseldorf, zu der auch ein Ausstellungskatalog erschienen ist. Zuletzt (bis Februar 2024) gab es eine Ausstellung mit Bildern aus seinem 2022 erschienen Bildband »Lucid Dreams« in der Leica Galerie in Nürnberg und im September 2024 sind seine Arbeiten Teil der großen Ausstellung im Fotopark Forchheim
Neben seinen künstlerischen Arbeiten ist Andreas Jorns zunehmend auch in sozialpolitischen Projekten engagiert. Unter anderem mit älteren Menschen (»Sehen Sie hin!« in Zusammenarbeit mit der Parkresidenz am Germanswald in Villingen-Schwenningen), aber auch mit Jugendlichen. Das Ergebnis eines solchen Projektes (»INSELJUGEND«) war von Dezember 2021 bis November 2022 im Museum Kunst der Westküste auf Föhr zu sehen – auch hierzu ist ein Ausstellungskatalog erhältlich.
Seit Dezember 2020 gibt es zudem seinen Podcast »­Radio Jorns«, bei dem er Themen der Fotografie mit Musik aus seinem Plattenregal kombiniert.  

Im August 2023 wurde Andreas Jorns als ordentliches Mitglied in die DGPh (Deutsche Gesellschaft für Photographie) berufen.
Kontakt: www.ajorns.com 

Teile mit deinen Freunden:
Einen Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Ähnliche Artikel
Neuesten Beiträge
Kategorien