Langzeitbelichtung mit ND-Filtern

09. Mai 2018
von fotoespresso
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Langzeitbelichtung mit ND-Filtern

Langzeitbelichtungen ermöglichen ­interessante Effekte. Sie lassen wilde Wasserströmungen samtweich wirken, Wolken verschwimmen und Menschen an Sehenswürdigkeiten aus dem Bild verschwinden. Sie gehören aber auch zu den fortgeschritteneren Techniken der Fotografie, weil sie die Kenntnis der fotografischen Grundlagen ebenso voraussetzen wie den routinierten Umgang mit der Kamera. Darüber hinaus sind für anspruchsvolle Langzeitbelichtungen einige technische Hilfsmittel notwendig. Zu den wichtigsten zählen dabei ND-Filter. Christophe Audeberts Buch »Langzeitbelichtung mit ND-Filtern« versteht sich als Leitfaden für diejenigen, die Neulinge auf dem Gebiet der Langzeitbelichtung sind. Der folgende Beitrag ist ein Auszug, der die Auswirkung der Belichtungszeit auf die Motivwiedergabe veranschaulicht.

Michael Kenna, einer der Pioniere der Langzeitbelichtung, wählt manchmal Belichtungszeiten von über einer Stunde – sein Rekord liegt bei zwölf Stunden! Diese extremen Belichtungszeiten sind möglich, weil er analog arbeitet (u. a. mit einer Mittelformatkamera von Hasselblad); eine Erhitzung des digitalen Sensors ist also kein Problem für ihn. Allerdings zählt auch eine Aufnahme mit zehn Sekunden bereits zu den Langzeitbelichtungen. Wie entscheidet man also, welche Belichtungszeit am besten geeignet ist? Das hängt natürlich ganz von den eigenen kreativen Absichten ab. Die in diesem Kapitel gezeigten Bilder veranschaulichen den Effekt unterschiedlicher Belichtungszeiten.

Die Belichtungszeit hat große Auswirkungen auf das Ergebnis. Eine relativ lange Belichtung (vier Minuten oder mehr) führt beispielsweise zu recht vorhersehbaren Ergebnissen mit Effekten, die man üblicherweise mit einer Langzeitbelichtung in Verbindung bringt: samtweich fließendes Wasser, verwischt abgebildete Wolken ohne Details, ›unsichtbare‹ Menschen und Autos … Bei kürzeren Verschlusszeiten (15 Sekunden bis 1 Minute) bleibt dagegen etwas von der Zeichnung in den bewegten Bildpartien erhalten – der ­resultierende Effekt ist völlig anders. Aber aufgepasst: keine Regel ohne Ausnahme, und Theorie und Praxis können von-einander abweichen.

Um die Auswirkungen der Belichtungszeit auf die Wiedergabe des Motivs zu veranschaulichen, zeige ich nun drei Serien mit Einzelbildern, die ich mit jeweils unterschiedlichen Belichtungszeiten aufgenommen habe.

Beispiel 1: Szene mit mehr Himmel als Wasser

Die folgende Serie entstand im Herbst in Paris. Die Szene setzt sich aus vier bildwichtigen Elementen zusammen:

  • statisches Motiv: die Hochhäuser von La Défensezweites
  • statisches Motiv: eine Brücke (Pont de Neuilly)
  • mehrere bewegte Bildelemente: die Wolken
  • das bewegte Bildelement Wasser: die Seine im Vordergrund

Anhand dieser vier Bestandteile einer Stadtlandschaft lässt sich der Effekt der Langzeitbelichtung perfekt veranschaulichen.

Mit der auf dem Stativ befestigten Kamera habe ich Fotos mit unterschiedlichen Belichtungszeiten aufgenommen, von 1/50 s bis 4 Minuten. Noch längere Belichtungszeiten hätten das Ergebnis nicht mehr wesentlich verändert: Die Fließ- und Wischeffekte im Wasser und am Himmel sind bereits bei einer Belichtungszeit von 4 Minuten nahezu maximal ausgeprägt. Aus diesem Grunde gehe ich selten über eine Verschlusszeit von 4 Minuten hinaus, außer wenn ich damit bestimmte kreative Absichten verfolge. Außerdem erhitzt sich bei extremen Belichtungszeiten der Sensor. (Dieses Problem kommt im Buch in Kapitel 4 zur ­Sprache.)

Das mit einer ›normalen‹ Belichtungszeit von 1/50 s aufgenommene Bild dient als Bezugspunkt. Es zeigt die Szene aus der Sicht des menschlichen Auges,
d. h. mit Zeichnung in den Wolken und im Wasser. Bewegte Objekte wie dieses Boot werden aufgrund der relativ kurzen Verschlusszeit eingefroren. Auch die Äste der Bäume links sind scharf abgebildet.
(16–35 mm bei 24 mm, ISO 100, 1/50 s, f/8, kein Filter)

 

Bei einer Belichtungszeit von 5 Sekunden wirkt das Foto bereits ganz anders: Die Wolken sind unscharf, aber noch geformt, und die Wasserfläche hat einen Teil ihrer Zeichnung verloren. Wäre das Boot noch im Bild gewesen, hätte es eine Wischspur im Wasser hinterlassen. Der Wind führt zu einer leicht unscharfen Wiedergabe der oberen Äste. (16–35 mm bei 24 mm, ISO 100, 5 s, f/8, ND-Filter 7 Blendenstufen)

 

Bei 30 Sekunden verstärken sich diese Effekte noch: unscharfe Wolken fast ohne Konturen, glatte Wasserfläche, verschwommene Äste. (16–35 mm bei 24 mm, ISO 100, 30 s, f/10, ND-Filter 9 Blendenstufen)

 

Bei einer Minute fällt eine Blendenstufe mehr Licht auf den Sensor. Die Wolken sind jetzt komplett verwischt und haben ihre Form fast völlig verloren, die Wasserfläche ist nahezu glatt, und die Äste wirken unscharf. (16–35 mm bei 24 mm, ISO 100, 60 s, f/10, ND-Filter 10 Blendenstufen)

 

Bei 2 Minuten haben sich die Wolken in Wischspuren verwandelt, und die Wasserfläche wirkt ansprechend glatt. Es gibt keine weiteren Auswirkungen auf die bereits auf dem vorherigen Bild unscharfen Äste. (16–35 mm bei 24 mm, ISO 100, 120 s, f/10, ND-Filter 11 Blendenstufen)

 

Eine letzte Verdoppelung führt zu einer Belichtungszeit von 4 Minuten. Die Wolken haben sich in uneinheitliche Schlieren verwandelt, das Wasser wirkt weiterhin sehr glatt. (16–35 mm bei 24 mm, ISO 100, 240 s, f/10, ND-Filter 12 Blendenstufen)

In dieser Serie gefällt mir das Bild mit der Belichtungszeit von 2 Minuten am besten. Die ansprechend verwischten Wolken und das bereits recht glatt wiedergegebene Wasser wirken darauf am schönsten.

Beispiel 2: Wasser als bildwichtigstes Element der Szene

Insbesondere das Meer ist ein beliebtes Motiv für Langzeitbelichtungen. Die hier gezeigte Szene setzt sich aus folgenden Bildelementen zusammen:

  • Hauptmotiv: das Meer als bewegtes Bildelement innerhalb der Landschaft
  • statischer Blickpunkt: die Steinmauer
  • statisches Bildelement: die Klippen von Étretat
  • weiteres statisches Element: der Kiesstrand, der eine Verbindung zu den Wellen schafft

Da am Himmel (abgesehen von ein paar Schleiern in einiger Entfernung) keine Wolken zu sehen sind, ist das Meer das einzige bewegte Bildelement.
Ich nahm die Fotos bei Ebbe auf, denn das ansteigende Wasser hätte Probleme verursacht. Nachdem ich das Stativ sehr sorgfältig auf den Kieselsteinen aufgestellt hatte, um jedes Risiko von Erschütterungen zu vermeiden, fotografierte ich bei relativ kurzen Belichtungszeiten, denn die Wellen waren an diesem Tag recht hoch.

Vom Strand aus wirkt der Wellengang für das menschliche Auge hoch: Das mit einer normalen Verschlusszeit von 1/500 s aufgenommene Foto dient als Bezugspunkt. Die Bereiche mit weißer Gischt sind die für den Effekt der Langzeitbelichtung wichtigen Bildpartien. Möwen, die jetzt noch mit aufs Bild kommen, werden mit zunehmender Belichtungszeit verschwinden. (16–35 mm bei 24 mm, ISO 100, 1/500 s, f/8, kein Filter)

 

Bei 8 Sekunden tauchen wir in die Welt der Langzeitbelichtung ein: Die Wellen haben ihre Form fast vollständig verloren und sich in weiße, verwischte Bildelemente verwandelt. Erst in der Entfernung bekommt das Wasser wieder Zeichnung. (16–35 mm bei 24 mm, ISO 100, 8 s, f/8, ND-Filter 12 Blendenstufen)

 

Bei 13 Sekunden verstärkt sich der Effekt noch: Die schaumig wirkenden Bildpartien sehen noch feiner und weißer aus. (16–35 mm bei 24 mm, ISO 100, 13 s, f/8, ND-Filter 13 Blendenstufen)

 

Bei 20 Sekunden hat sich dieser ätherische Effekt an der Wasserlinie verstärkt; auch weiter draußen wirkt das Meer jetzt glatter. Der weiße Bereich an der Klippe ist größer geworden. (16–35 mm bei 24 mm, ISO 100, 20 s, f/8, ND-Filter 14 Blendenstufen)

 

Bei 30 Sekunden verschwindet allmählich die Zeichnung in den schaumig wirkenden Bereichen und auf dem offenen Meer. (16–35 mm bei 24 mm, ISO 160, 30 s, f/8, ND-Filter 15 Blendenstufen)

 

Bei 1 Minute wirkt das Wasser sowohl in größerer Entfernung als auch in der Nähe glatt, vor allem in der Umgebung der Klippe. Eine noch längere Belichtung hätte diesen Effekt weiter verstärkt. (16–35 mm bei 24 mm, ISO 160, 60 s, f/10, ND-Filter 16 Blendenstufen)

Je nach Dauer der Belichtung fallen die Ergebnisse völlig unterschiedlich aus. Auf diese Weise können Sie als Fotograf die Grenzen der Wirklichkeit ­verschieben und eine Landschaft aus ganz persönlicher Sicht darstellen. Wenn Sie mit unterschiedlichen Belichtungszeiten experimentieren, lässt sich die gewünschte Bildaussage immer noch später während der Bildbearbeitung auswählen.

Beispiel 3: Wasser und Wolken als bildwichtigste Elemente einer Szene

Ein Glücksfall für den Langzeitfotografen sind jene Tage, an denen sich die Bewegungen von Wolken und Wasser gegenseitig ergänzen. Die folgende Szene ist ein Paradebeispiel dafür. Sie setzt sich aus vier Hauptelementen zusammen:

  • statischer Vordergrund: Steine und vertikaler Felsen (links)
  • statischer Hintergrund: Felsentor und ›Felsennadel‹ von Étretat
  • bewegtes Bildelement: das Meer (rechts)
  • zweites bewegtes Bildelement, ebenfalls rechts: die Wolken
Die ›normale‹ Belichtung von 1/60 s dient als Bezugspunkt (und hilft bei der Auswahl des geeigneten Graufilters). Die See wirkt vom Strand aus ziemlich rau, aber weiter draußen sind keine weißen Wellen mehr zu sehen. Die Wolken ziehen recht schnell über den Himmel. (16–35 mm bei 22 mm, ISO 100, 1/60 s, f/8, kein Filter)

 

Bei einer Verschlusszeit von 15 Sekunden werfen wir bereits einen Blick in eine Welt, die mit bloßem Auge nicht sichtbar ist: Die Wellen haben ihre Form verloren, der Himmel wirkt homogener. (16–35 mm bei 22 mm, ISO 100, 15 s, f/8, ND-Filter 10 Blendenstufen)

 

Bei 30 Sekunden erscheint die Gischt noch weißer, und ihre Strukturen sind fast völlig verschwunden. Auch die Wolken verlieren ihre Zeichnung. (16–35 mm bei 22 mm, ISO 100, 30 s, f/11, ND-Filter 10 Blendenstufen)

 

Nach einer Belichtung von einer Minute zeigen sich die Änderungen vor allem in den Wolken, die sich in von links nach rechts verwischte Streifen verwandelt haben. Die kleinen weißen Schaumflecken auf dem Meer, die bei einer Belichtungszeit von 15 s noch sichtbar waren, sind verschwunden. (16–35 mm bei 22 mm, ISO 100, 60 s, f/8, ND-Filter 12 Blendenstufen)

 

Bei einer Verschlusszeit von 2 Minuten verstärken sich diese Effekte: Wasser und Wolken haben keine Zeichnung mehr, und das Meer wirkt fast vollkommen glatt. (16–35 mm bei 22 mm, ISO 100, 120 s, f/8, ND-Filter 13 Blendenstufen)

 

Nach 4 Minuten haben sich die Wolken vollständig in verwischte Streifen verwandelt, und die Wasserfläche ist spiegelglatt. Die weiße Gischt ohne jede Zeichnung wirkt luftig-leicht. (16–35 mm bei 22 mm, ISO 100, 240 s, f/8, ND-Filter 14 Blendenstufen)

 

Die Wolken ziehen von links nach rechts, was bei langer Belichtungszeit für besonders ästhetische Ergebnisse sorgt.

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Auswirkungen der fünf wichtigsten Belichtungszeiten auf das Ergebnis. Es geht dabei nicht um richtig oder falsch – auf die Absicht des Fotografen kommt es an. Er muss die Verschlusszeit je nach der gewünschten Zeichnung und Schärfe der Bildelemente auswählen. Diese Entscheidung ist sicherlich äußerst subjektiv. Ich arbeite gern mit Belichtungszeiten zwischen 2 und 4 Minuten, damit die Szene ruhig und friedlich wirkt, aber natürlich hängt die Entscheidung auch vom Motiv ab. Eines ist sicher: Wenn Sie die Auswirkungen dieser fünf wichtigsten Belichtungszeiten kennen, können Sie das Bild vor Ihrem geistigen Auge vor der eigentlichen Aufnahme noch besser ausgestalten. Im Zweifelsfall könnten Sie auch vier oder fünf Fotos mit unterschiedlichen Verschlusszeiten machen. Aus diesen Aufnahmen wählen Sie dann bei der späteren Sichtung der Bilder das beste Foto aus.

 

Falls Sie sich für das Thema Langzeitbelichtungen mit ND-Filtern interessieren, empfehlen wir Ihnen einen Blick in das Buch Langzeitbelichtung mit ND-Filtern von Christophe Audebert.

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