von fotoespresso
Langzeitbelichtung mit ND-Filtern
von fotoespresso
Langzeitbelichtung mit ND-Filtern
Langzeitbelichtungen ermöglichen interessante Effekte. Sie lassen wilde Wasserströmungen samtweich wirken, Wolken verschwimmen und Menschen an Sehenswürdigkeiten aus dem Bild verschwinden. Sie gehören aber auch zu den fortgeschritteneren Techniken der Fotografie, weil sie die Kenntnis der fotografischen Grundlagen ebenso voraussetzen wie den routinierten Umgang mit der Kamera. Darüber hinaus sind für anspruchsvolle Langzeitbelichtungen einige technische Hilfsmittel notwendig. Zu den wichtigsten zählen dabei ND-Filter. Christophe Audeberts Buch »Langzeitbelichtung mit ND-Filtern« versteht sich als Leitfaden für diejenigen, die Neulinge auf dem Gebiet der Langzeitbelichtung sind. Der folgende Beitrag ist ein Auszug, der die Auswirkung der Belichtungszeit auf die Motivwiedergabe veranschaulicht.
Michael Kenna, einer der Pioniere der Langzeitbelichtung, wählt manchmal Belichtungszeiten von über einer Stunde – sein Rekord liegt bei zwölf Stunden! Diese extremen Belichtungszeiten sind möglich, weil er analog arbeitet (u. a. mit einer Mittelformatkamera von Hasselblad); eine Erhitzung des digitalen Sensors ist also kein Problem für ihn. Allerdings zählt auch eine Aufnahme mit zehn Sekunden bereits zu den Langzeitbelichtungen. Wie entscheidet man also, welche Belichtungszeit am besten geeignet ist? Das hängt natürlich ganz von den eigenen kreativen Absichten ab. Die in diesem Kapitel gezeigten Bilder veranschaulichen den Effekt unterschiedlicher Belichtungszeiten.
Die Belichtungszeit hat große Auswirkungen auf das Ergebnis. Eine relativ lange Belichtung (vier Minuten oder mehr) führt beispielsweise zu recht vorhersehbaren Ergebnissen mit Effekten, die man üblicherweise mit einer Langzeitbelichtung in Verbindung bringt: samtweich fließendes Wasser, verwischt abgebildete Wolken ohne Details, ›unsichtbare‹ Menschen und Autos … Bei kürzeren Verschlusszeiten (15 Sekunden bis 1 Minute) bleibt dagegen etwas von der Zeichnung in den bewegten Bildpartien erhalten – der resultierende Effekt ist völlig anders. Aber aufgepasst: keine Regel ohne Ausnahme, und Theorie und Praxis können von-einander abweichen.
Um die Auswirkungen der Belichtungszeit auf die Wiedergabe des Motivs zu veranschaulichen, zeige ich nun drei Serien mit Einzelbildern, die ich mit jeweils unterschiedlichen Belichtungszeiten aufgenommen habe.
Beispiel 1: Szene mit mehr Himmel als Wasser
Die folgende Serie entstand im Herbst in Paris. Die Szene setzt sich aus vier bildwichtigen Elementen zusammen:
- statisches Motiv: die Hochhäuser von La Défensezweites
- statisches Motiv: eine Brücke (Pont de Neuilly)
- mehrere bewegte Bildelemente: die Wolken
- das bewegte Bildelement Wasser: die Seine im Vordergrund
Anhand dieser vier Bestandteile einer Stadtlandschaft lässt sich der Effekt der Langzeitbelichtung perfekt veranschaulichen.
Mit der auf dem Stativ befestigten Kamera habe ich Fotos mit unterschiedlichen Belichtungszeiten aufgenommen, von 1/50 s bis 4 Minuten. Noch längere Belichtungszeiten hätten das Ergebnis nicht mehr wesentlich verändert: Die Fließ- und Wischeffekte im Wasser und am Himmel sind bereits bei einer Belichtungszeit von 4 Minuten nahezu maximal ausgeprägt. Aus diesem Grunde gehe ich selten über eine Verschlusszeit von 4 Minuten hinaus, außer wenn ich damit bestimmte kreative Absichten verfolge. Außerdem erhitzt sich bei extremen Belichtungszeiten der Sensor. (Dieses Problem kommt im Buch in Kapitel 4 zur Sprache.)
In dieser Serie gefällt mir das Bild mit der Belichtungszeit von 2 Minuten am besten. Die ansprechend verwischten Wolken und das bereits recht glatt wiedergegebene Wasser wirken darauf am schönsten.
Beispiel 2: Wasser als bildwichtigstes Element der Szene
Insbesondere das Meer ist ein beliebtes Motiv für Langzeitbelichtungen. Die hier gezeigte Szene setzt sich aus folgenden Bildelementen zusammen:
- Hauptmotiv: das Meer als bewegtes Bildelement innerhalb der Landschaft
- statischer Blickpunkt: die Steinmauer
- statisches Bildelement: die Klippen von Étretat
- weiteres statisches Element: der Kiesstrand, der eine Verbindung zu den Wellen schafft
Da am Himmel (abgesehen von ein paar Schleiern in einiger Entfernung) keine Wolken zu sehen sind, ist das Meer das einzige bewegte Bildelement.
Ich nahm die Fotos bei Ebbe auf, denn das ansteigende Wasser hätte Probleme verursacht. Nachdem ich das Stativ sehr sorgfältig auf den Kieselsteinen aufgestellt hatte, um jedes Risiko von Erschütterungen zu vermeiden, fotografierte ich bei relativ kurzen Belichtungszeiten, denn die Wellen waren an diesem Tag recht hoch.
Je nach Dauer der Belichtung fallen die Ergebnisse völlig unterschiedlich aus. Auf diese Weise können Sie als Fotograf die Grenzen der Wirklichkeit verschieben und eine Landschaft aus ganz persönlicher Sicht darstellen. Wenn Sie mit unterschiedlichen Belichtungszeiten experimentieren, lässt sich die gewünschte Bildaussage immer noch später während der Bildbearbeitung auswählen.
Beispiel 3: Wasser und Wolken als bildwichtigste Elemente einer Szene
Ein Glücksfall für den Langzeitfotografen sind jene Tage, an denen sich die Bewegungen von Wolken und Wasser gegenseitig ergänzen. Die folgende Szene ist ein Paradebeispiel dafür. Sie setzt sich aus vier Hauptelementen zusammen:
- statischer Vordergrund: Steine und vertikaler Felsen (links)
- statischer Hintergrund: Felsentor und ›Felsennadel‹ von Étretat
- bewegtes Bildelement: das Meer (rechts)
- zweites bewegtes Bildelement, ebenfalls rechts: die Wolken
Die Wolken ziehen von links nach rechts, was bei langer Belichtungszeit für besonders ästhetische Ergebnisse sorgt.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Auswirkungen der fünf wichtigsten Belichtungszeiten auf das Ergebnis. Es geht dabei nicht um richtig oder falsch – auf die Absicht des Fotografen kommt es an. Er muss die Verschlusszeit je nach der gewünschten Zeichnung und Schärfe der Bildelemente auswählen. Diese Entscheidung ist sicherlich äußerst subjektiv. Ich arbeite gern mit Belichtungszeiten zwischen 2 und 4 Minuten, damit die Szene ruhig und friedlich wirkt, aber natürlich hängt die Entscheidung auch vom Motiv ab. Eines ist sicher: Wenn Sie die Auswirkungen dieser fünf wichtigsten Belichtungszeiten kennen, können Sie das Bild vor Ihrem geistigen Auge vor der eigentlichen Aufnahme noch besser ausgestalten. Im Zweifelsfall könnten Sie auch vier oder fünf Fotos mit unterschiedlichen Verschlusszeiten machen. Aus diesen Aufnahmen wählen Sie dann bei der späteren Sichtung der Bilder das beste Foto aus.
Falls Sie sich für das Thema Langzeitbelichtungen mit ND-Filtern interessieren, empfehlen wir Ihnen einen Blick in das Buch Langzeitbelichtung mit ND-Filtern von Christophe Audebert.
Die Tabelle ist sehr nützlich.